Die Königin wollte gerne Geschichten hören. Neu mussten sie sein und spannend. Wer sie langweilte wurde zu lebenslangem Federnspleißen eingesperrt. „Weißt du eine Geschichte mit Pinguinen?“, fragte die Königin. Nur Svea wusste so eine zu erzählen und sie erzählt der Königin 13 Märchen, um ihren Liebsten zu befreien.
Der Eisprinz – aus dem Buch „Von der Königin, die behaglich Tee zu trinken wünschte“
Es war einmal ein Prinz, der lebte in einem fernen Land, das nur aus Schnee und Eis bestand. Sein Königreich war winzig, aber sein Schloss einzigartig. Es war ganz und gar aus Eis gemacht und schon von weitem prächtig anzusehen. Das Eis schimmerte blau, grau und weiß in allen Schattierungen, es war zart und zerbrechlich, dabei doch hart und stark. Die Fußböden waren spiegelblanke Eisflächen. Auf ihnen sauste der Prinz mit seinen Schlittschuhen dahin. Er war ein Meister auf den Schlittschuhen, drehte sich in kunstvollen Pirouetten und machte waghalsige Sprünge. Seine Pinguine klatschten Beifall, wenn ihm ein besonderer Sprung geglückt war. Dann machten sie sich seufzend daran, alle Schrammen und Kratzer auf dem Boden zu entfernen, denn das war ihre Aufgabe. Wenn sie an einem Ende des Schlosses fertig waren, konnten sie am anderen wieder beginnen.
Täglich fischten die Pinguine. In diesem Teil der Welt konnte man nur von rohen Fischen leben. Der Prinz hatte eine lange Rutschbahn aus Eis gebaut, eine weiße glatte Röhre, in der die Pinguine auf dem Bauch liegend bis ins Meer hinuntersausen konnten. Auch der Prinz rutschte zu seinem Vergnügen hinunter, nur hatte er für sich eine Abzweigung gebaut, ins Wasser wollte er nicht. Es dauerte nämlich schrecklich lange, bis er wieder warm und trocken war. Sonst machte ihm die Kälte nicht viel aus, denn er war so rund und dick wie ein Pinguin.
Wenn die Sonne sich im Eis spiegelte und so das ganze Schloss zum Funkeln und Glitzern brachte, war der Prinz sehr glücklich. Fauchte aber der Eiswind tagelang um die Mauern, saß der Prinz in seinem Zimmer, alle Pinguine dicht um sich zum Schutz und zitterte. Dann sehnte er sich nach Sonne und Wärme und etwas, dass nicht nur aus Eis, Schnee und Wasser bestand. Er wusste aber nicht, wonach er sich sehnte, denn er kannte nichts anderes.
In diesem Land aus Schnee und Eis lebte auch ein Zauberer, der versuchte alles, um den Prinzen und seine Pinguine zu vertreiben, denn er wollte das ganze Land alleine haben. Das wusste der Prinz. Daher hatte er um sein Schloss eine doppelte Mauer mit Zinnen gezogen. Immer lag ein großer Vorrat an Schneebällen bereit. Zwei Pinguine standen als Wächter auf der Mauer und alarmierten den Prinzen, sobald der Zauberer in Sichtweite kam. Dann warf der Prinz ihm mit einem gezielten Schneeball den hohen spitzen Zauberhut vom Kopf. Der Wind wehte den Hut dann weit fort, und der Zauberer musste hinter ihm herlaufen, um ihn wieder einzufangen, denn ohne Hut konnte er gar nicht zaubern. Lange war der Zauberer nicht mehr gesehen worden. Er saß in seinem Schloss und studierte seine Zauberbücher.
Eines nachts, als alles schlief und auch den Wächtern die Augen immer wieder zufielen, stand der Zauberer vor der Schlossmauer und probierte seine neuen Zaubersprüche aus. Die Wächter sahen gerade noch, dass ein feuriger Sägeblitz rund um die Außenmauer schoss. Der sägte ganz schnell einen tiefen und breiten Graben, so dass das kleine Königreich in einem Stück ins Meer rutschte. Die Wellen nahmen es eilig mit und trugen es immer weiter fort von der Stelle, wo es einmal gestanden hatte. Am neuen Ufer hüpfte der Zauberer auf und ab vor Freude, weil es ihm gelungen war, seine Feinde loszuwerden. Der Prinz stand auf der Mauer und musste zusehen, wie sein Königreich sich weiter und weiter vom Ufer entfernte und der Zauberer bald nicht mehr zu erkennen war.
Tag und Nacht trieben sie über das Meer nach Norden, die Luft und das Wasser wurden wärmer, und das Königreich begann zu schmelzen. Die Pinguine vertrugen die Wärme nicht. Deswegen entließ der Prinz sie, sie konnten ja gut zurückschwimmen. Nur zwei alte Pinguine wollten ihren Herrn nicht alleine lassen. Doch hatten sie es sehr schwer, Fische zu fangen, und so waren sie meistens hungrig. Mit dem Königreich schmolz auch der Speck des Prinzen. Es war nur gut, dass er vorher so dick gewesen war, denn es kam kein Land in Sicht.
Die starke Mauer war weggeschmolzen, auch die stolzen Türme waren verschwunden, da tauchte endlich am Horizont ein rotes Segel auf, das rasch größer wurde. Der Prinz konnte bald ein Schiff erkennen und eine große goldene Sonne im Segel. Das schien ihm ein Wunder zu sein und erst recht staunte er, als das Schiff sich neben ihn in den Wind drehte. Eine Leine mit einem Enterhaken kam herübergeflogen, eine Brücke wurde ausgeklappt, und ein in Pelz gehülltes Wesen ging darüber hin und trat vorsichtig auf die schwimmenden Reste des Königreiches. Sie sahen sich eine Weile schweigend an. Dann fragte eine helle Stimme den Prinzen: „Bist du ein Schiffbrüchiger?“ Es dauerte lange, bis der Prinz der Prinzessin vom Sonnenreich, denn diese war es, alles erzählt und erklärt hatte. Aber dann waren sie sich einig, der Prinz sollte mit in das Reich der Prinzessin kommen. In das kalte Land des Prinzen wagte sie sich nicht mit ihrem Schiff. Als die Pinguine das hörten, baten sie um ihren Abschied. So konnten sie zurückkehren und den anderen von der glücklichen Rettung ihres Herrn berichten.
Der Prinz segelte nun mit der Prinzessin tage- und nächtelang der Sonne entgegen. Sie hatten sich viel zu erzählen, kannte doch einer nicht die Welt des anderen, und sie wurden immer vertrauter miteinander. An einem frühen Morgen standen sie nebeneinander im Bug des Schiffes. Der Himmel wurde langsam hell, er färbte sich rosa. Die Sonne ging auf. Ein Duft kam über das Wasser, warm, süß und unbekannt für den Prinzen. Er atmete den Duft ein. „Das sind die unzähligen Blätter und Blüten“, sagte die Prinzessin mit einem Lächeln. „Das ist der Geruch von Erde und Land!“ „Ich kann es gar nicht abwarten, alles zu sehen!“, rief der Prinz aus. Bald waren die Umrisse einer Insel zu erkennen, sie schien auf dem hellen Wasser zu schweben. Als sie näher kamen, waren verschiedene Grüntöne, dann die Häuser einer Stadt und endlich auch ein rotes Schloss zu unterscheiden. Nun sah der Prinz die Dinge, von denen die Prinzessin ihm erzählt hatte.
Als das Schiff angelegt hatte, wurden sie von einer freudigen Menge begrüßt. Auf dem Weg zum Schloss mussten sie oft stehen bleiben. Es war so ein Gewimmel von Menschen und fremden Tieren und Lärm und Gerüchen! „Ich bin ganz überwältigt!“ sagte der Prinz, als sie im Schloss angekommen waren. „Wie schön ist dein Land! Ich möchte alles sehen, alle Blumen und Pflanzen, alle Tiere und die Menschen kennenlernen!“ „Das habe ich gehofft“, sagte die Prinzessin, „denn ich wollte dich fragen, ob du immer mit mir hier leben möchtest.“ „Das will ich ganz gewiss. Ich möchte nicht mehr ohne dich sein!“, antwortete der Prinz und nahm die Prinzessin in seine Arme.
Die Hochzeit wurde bald gefeiert, und die Prinzessin schenkte ihrem Gemahl eine Eisbahn. Manchmal flitzten sie Hand in Hand über die blanke Eisfläche. Doch am liebsten saß die Prinzessin am Rand und sah ihrem Mann bei seinen akrobatischen Sprüngen und Pirouetten zu. Die Bewegung war gut für ihn, sonst hätte er schnell wieder Pinguinform angenommen. Denn die Speisen, die in diesem Land gegessen wurden, schmeckte ihm doch viel besser als der rohe Fisch! Wenn der Eisprinz gemächlich durch den blühenden Garten ging und sich an den Blumen und Früchten erfreute, fiel ihm manchmal der Zauberer ein. Er stellte sich vor, wie der händereibend und frierend in seinem eiskalten Schloss saß. Dann gefiel ihm die Blütenpracht noch einmal so gut!